Anajo
20 Jahre "Nah bei mir" (Wieder-VÖ: 11. Oktober 2024)
Am 11. Oktober erscheint zum 20-jährigen Jubiläum das Debüt-Album einer der erfolgreichsten Indie-Pop-Bands der 00er Jahre. Erstmals auch auf Vinyl.
2004 waren Schubladen noch wichtig. Popmusik war noch nicht dieses eklektizistische, sich aus universell verfügbaren, entkontextualisierten Quellen speisende Internet-Monster. Wer also beispielsweise deutschsprachigen Gitarrenpop spielte, musste sich positionieren: Bewegte man sich eher in der diskursverliebten, kopflastigen Tradition der Hamburger Schule und hoffte auf „Indie-Credibilität“? Oder wollte man Teil der immer größer werdenden Deutschpop-Industrie werden, vornehmlich repräsentiert von „female fronted“ Bands wie Mia, Juli oder Silbermond (nicht zu vergessen die stets gut gelaunten Jungs von von Sportfreunde Stiller), die – mal mit eher studentisch-intellektueller Grundierung, mal mit eindeutig schlagerhafter Geste – das Gefühlige in den Focus rückten.
Es gab aber auch Acts, die sich nicht entscheiden wollten. Auf der Insel hatten es die Bands der Britpop-Welle schließlich vorgemacht. Hier ging es mit cooler Haltung, jeder Menge Subversion, aber eben auch goldenen Melodien und echten „Hits“ in höchste Popstar-Gefilde. Wieso nicht auch in Deutschland Anspruch, Originalität und Gefälligkeit miteinander in Einklang bringen?
Hier kommen nun also Anajo ins Spiel, eine 1999 gegründete Band aus dem provinziellen Augsburg, die 2004 mit ihrem Debüt-Album „Nah bei mir“ genau diesen Sprung zwischen die Stühle wagte – und dafür mit sehr viel Liebe bedacht wurde, auch wenn die Indiepolizei nicht immer einverstanden war.
Die drei Augsburger vereinten in der Tat Gegensätze: Einerseits pflegten sie das Image einer flotten Indie-Boyband mit einladend androgynem, lebensbejahendem Auftreten, die – vor allem live – in erster Line für gute Vibrations sorgen wollte (ja, es wurde getanzt und geschmachtet!), andererseits verbarg sich hinter dieser smarten Oberfläche ein ganzes Königreich an feinen Nuancen, Widerborsten, Abgründen und Absurditäten. Allein schon die eher kindlich anmutende, zarte Stimme von Oliver Gottwald polarisierte. Hier war ein Typ, der nicht die gängigen männlichen Rockideale bediente, sondern eher eine feinfühlige Naivität vor sich hertrug, dabei aber so viel Lebensweisheit transportierte.
„Nah bei mir“ ist eine durch und durch leichte Platte, die mit catchy Sounds und Melodien bisweilen gewichtige Themen verhandelt: Überwindung tiefer Trauer („Der Vorhang geht auf“), Entfremdung („Einmal noch schlafen“), bittere Enttäuschung („Die Tränen sind immer noch meine“) – immer aber präsentiert mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Als wahre Meister beweisen sich Anajo auf dem Album in der schwierigen Disziplin der unblöden Partysongs: Auch nach 20 Jahren überkommt einen beim Hören so skurril-absurder Feger wie „Monika Tanzband“, „Honigmelone“ oder „Ich hol dich hier raus“ noch diese unbändige, mitreißende Freude.
Anajo haben mit ihrem Debüt-Album eine ganz eigene Welt geschaffen, mit der sich eine eingefleischte, treue Fangemeinde mit Leib und Seele identifizieren konnte. Als Indie-Act war das Trio extrem erfolgreich, reaktionäre Buhrufe von wegen „Mädchenmusik“ wurden mit euphorischen Konzerten voller Herzblut und Leidenschaft gekontert. Trotz Teilnahme an Stefan Raabs Bundesvision Contest und Welteroberungsplänen folgte nach dem Album nicht der große Durchbruch in den Mainstream. Dafür war die Band wohl zu besonders.
Oliver Minck