UNTEN - 29. November 2024

„Kennst du eigentlich Die Regierung?“, hatte mich Carol von Rautenkranz damals gefragt. Kannte ich nicht. Der Bandname sagte mir was, hatte ich aber irgendwie unter Industrial oder so was abgespeichert und daher einen Bogen drum gemacht. „Hör dir die mal an, die machen auch so Schrottpop, müsste Dir gefallen.“ Da war meine Neugier geweckt. Carol wusste, wem er was wie anpreisen musste, er war nicht umsonst Labelchef. Er schenkte mir ein Promo-Tape vom Album „So Drauf“ und ich wurde zum ersten Mal in meinem Leben Anhänger einer Regierung. Kurze Zeit später musste Carol niemandem mehr Die Regierung anpreisen, da dann „Unten“ erschienen war.

„Bei Lado haben sie damals eine Umfrage unter den ganzen Journalisten und Fanzine-Schreibern gemacht, welche denn die beste Lado-Band ist, und Die Regierung war mit Abstand vorne“, erinnert sich Tilman Rossmy 30 Jahre später. Die Regierung war die Band, auf die sich damals alle einigen konnten. Und womit? Mit Recht! Die Regierung stach aus den anderen Bands der damaligen Indie-Szene heraus, weil Pop. Gitarren-Indie in Deutschland neigte Anfang der 90er zu einem, vorsichtig formuliert, eher sperrigen, um nicht zu sagen, etwas anstrengenden Sound. Das Leben war hart und schwer – Irrungen hier, Wirrungen da und das sollte sich auch in der Musik widerspiegeln. Blaupause Sonic Youth et al. Für musikalische Leichtigkeit und solchen Tand hatte man eher nicht so viel übrig in Indiehausen.

„Unten“ enthält 14, zumeist quecksilbrige, Folk-Pop-Songs für moderne Liebende. Cool, realistisch und doch überromantisch vorgetragen mit so einer Art gainsbourgischer Distanziertheit. Noch dazu mit Thies Mynthers Klavier! Das Klavier auf „Unten“ addiert zu den Songs gleichzeitig etwas Großes, etwas Entrücktes und etwas Eigenes. Nenne mir eine Indieband von damals mit Klavier. Wenn so Musikfachleute in Musikzeitschriften früher Platten mit den Worten gelobt haben, dass da ja nun jeder Ton sitzen würde, konnte ich mir da immer wenig drunter vorstellen, bis ich „Unten“ gehört habe. Das war dann die Platte, die sich Leute gekauft haben, die bis dahin mit Musik aus Deutschland nix anfangen konnten.

Texte waren bzw. sind natürlich auch spitze. Den Alltag adelnde Skizzen. Mit so wenigen Worten so viel sagen, das kann nicht jeder! Kann eigentlich keiner oder macht(e) keiner. Vielleicht noch die Ramones. Das Besondere an den Texten ist vermutlich auch diese Beiläufigkeit. Oft hat man ja bei deutschen Texten, auch von guten Textern und Texterinnen, das Gefühl, dass die einem da was einhämmern oder einen überzeugen wollen, das hatte man bei Der Regierung nicht, das war (und ist) anders.

Wer hat dich damals beim Texten und überhaupt beeinflusst?

Tillman Rossmy: „Keine Ahnung, mich hat eigentlich immer das beeinflusst, was ich gerade gehört habe. Damals waren das viel so australische Garagenbands, z.B. New Christs und sowas, aber viele Namen von den Bands habe ich einfach vergessen. Die waren auch so obskur, dass die sonst niemand kannte. Als ich in Essen gewohnt habe, gab es auf dem Weg zur Uni so einen Plattenladen der hieß „Fire Engine“ und die waren spezialisiert auf australische Importe, waren sehr gute Platten. Und Neil Young und Leonard Cohen. Aber wenn ich einen Song schreibe, ich mein, ich hol mir schon mal eine Zeile aus einem anderen Song, kommt schon mal vor, aber eigentlich ist das alles mein eigener Stil. Ich kann auch gar nicht anders schreiben. Ich kann nur schreiben, wie ich schreib – war schon von Anfang an so.“

Hast du die Songs von „Unten“ eigentlich alle alleine geschrieben?

Tilman Rossmy: „Zusammen schreiben mit jemand anderem war zu schwierig, da war ich immer zu dominant, besonders textmäßig. Thies kam mit dem Song „1975“ an und fragte: ‚Wie findste den?‘, aber der war ja viel zu jung um das damals erlebt zu haben. Der hatte so eine Fantasie von 1975 gehabt, mit Lavalampen und sowas, da hab ich gesagt: ‚Komm, ich schreib dir mal auf, wie das wirklich war.‘“ Tilmann Rossmy und Pianist Thies Mynther verschlug es Anfang der 90er aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg. Sie staffierten sich im Kleidermarkt an der Max-Brauer-Allee neu aus (Rossmy: “War ein absolutes No-Go, wie wir da in Hamburg ankamen, brauchten erst mal neue Klamotten“) und schon war Essens einzige Band neben Kreator mit Plattenvertrag mittendrin.

Klaus Nomi hat übrigens auch in Essen gewohnt, aber da hatte er noch keinen Plattenvertrag. 
Warum gab es eigentlich in Essen so wenige Bands? Englische Industriestädte waren im Gegensatz dazu doch dafür ein wunderbares Biotop. Das lag an einem schurkischen Bischof.

Tilman Rossmy: „Bischof Hengsbach hatte in Essen viel zu melden und seinetwegen gab es Sperrstunde, keine Musikclubs, nix. Punk oder New Wave fand da nicht statt. Was es gab, war eine Kifferszene, so Freaks.“ Was hat uns Hengsbach, die dumme Sau, da an guten Platten und Bands aus Essen vorenthalten. Die Stadt wäre ohne den gestrengen Geistlichen vermutlich sowas wie Manchester geworden, aber dann wäre wohl in Hamburg nicht so viel gegangen, kann auch sein.

Also, zurück ins sperrstundenfreie Hamburg: „Ich bin in den paar Jahren in Hamburg so viel ausgegangen, dass es für ein ganzes Leben reicht“, erinnert sich Rossmy, „Diese vier Jahre in Hamburg waren wie ein Traum.“ Irgendwie war es damals möglich, mit 800 Mark Bafög täglich zwischen 17 und 5 Uhr und zwischen "Sorgenbrecher", "Casper's Ballroom", "Tempelhof" und "Pudel" ein zünftiges Bohème-Leben zu führen. Hatte schon was. 

Hast du eigentlich diese NDR-Doku über die Hamburger Schule gesehen?

Tilman Rossmy: „Ja, war super interessant, ich sehe die alle nicht mehr. Bin schon 30 Jahre aus der Szene raus. War schon alles besser, als es da beschrieben wurde, aber der ganze Spaß und die ganze Magie ist auch nicht wirklich journalistisch greifbar.“

Doch trotz des Spaßes und der Magie in Hamburg wurde „Unten“ zu großen Teilen in Mühlheim aufgenommen, in dem Studio, in dem auch Helge Schneider seine Musik aufnimmt. Produzent war Lassie Singers-Mitglied Herman Hermann, damals Gitarrist der Band. Tolles Team! 

Mit den Aufnahmen kehrte die beliebteste Band von L'Age D'Or an die Elbe zurück, nur um von ihrem Label erst einmal einen auf den Deckel zu bekommen. Die von Lado fanden die Aufnahmen nämlich gar nicht gut.

„Die fanden das richtig scheiße. Herman Hermann wollte das so auf Hank Williams trimmen, so auf 50er Jahre Sound, aber dafür musst du schon ziemlich gut sein und so klang das fast wie so ein Demo, absichtlich LoFi.“

Und dann?

„Krisensitzung. Dann haben sie das im Soundgarden Studio durch so einen Exciter gejagt und dann war es schon ganz gut.“

Was auch immer dieser „Exciter“ war, er erfüllte seinen Zweck. „Unten“ erschien und Die Regierung war die Band der Stunde. Doch dann, nach ihrem bis dahin größten Erfolg, löste sich Die Regierung in der Besetzung Tilman Rossmy, Thies Mynther, Mense Reents, Robert Lipinski, Thomas Geier und Herman Hermann auf. War eine Spitzenband, auch live.

Tilman Rossmy: „Es ging mit der Band bergauf, da hatte ich das Gefühl, das könnte was werden, aber als Tocotronic dann auftauchten habe ich gemerkt, dass mein Rockstar Traum vorbei war und habe dann auch noch festgestellt, was eigentlich für’n Wetter in Hamburg ist und dann bin ich der Szene entglitten.“

Ein Ende wie ein Regierungs-Song.

- Carsten Friedrichs

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