DIE STERNE
IN ECHT - 06. September 2024
Der Durchbruch nach dem Durchbruch. „In echt“ ist das zweite Die Sterne-Album und erschien 1994 auf dem legendären Hamburger L´Age D´Or Label. Locker aus dem Handgelenk geschüttelter Indie Pop, aber funky. Eher Sly Stone, Remo Four und Peter Thomas. Tanzbar! Dazu noch Frank Spilkers Sprechsingtexte über Pop, Politik, Privates und das prekäre Leben. Das hat Flow, das war neu und ist es auf seine Art immer noch. In echt. Inklusive dem Überhit „Universal Tellerwäscher“.
Im Februar 1994 spielen ein paar befreundete Bands ein Soli-Konzert im Hamburger Knust, damit sich Die Sterne neue Musikmachutensilien kaufen können. Danach geht’s gleich ins Studio. »In echt«entsteht im Soundgarden in Hamburg mit dem Produzenten Chris von Rautenkranz, Bruder des L’age d’or-Chefs Carol. Viel Zeit gibt’s nicht, alles kostet und die Lunte brennt, die Leute da draußen sind hungrig und Die Sterne heiß.
Also wird weniger collagiert und dafür songorientierter gearbeitet. Als die Studiozeit fast um ist und noch ein Stück fehlt, kommt Spilker mit drei Akkorden an, zu denen Wenzel einen locker tänzelnden Basslauf aus der Hüfte schießt und Frank »Orgel« Will seinem Rhodes einen tighten Tasten-Riff entlockt und fertig ist der erste echte Sterne-Hit: »Universal Tellerwäscher«. Musikalisch ist das fast schon klassisches Songwriting. Inhaltlich greift das Stück ein drängendes Thema auf, indem es Donovans naive Pazifismus-Hymne »Universal Soldier« durch den Wolf dreht und den Kriegern des modernen Prekariats ein Denkmal baut, die alle nur noch umsonst als Praktikanten oder mit beschissenen Zeitverträgen arbeiten.
Überhaupt ist da viel Wut in den neuen Liedern. Das Album ist dichter und kompakter als »Wichtig« und wirkt bei allem Sterne-typischen Schmiss und Zack und Schwung düster, fast schon resigniert, vor allem textlich. Damals war Virtualität ein großes Thema – aber nicht die im Internet, sondern die virtuellen Welten auf CD-ROMs. Spilkers Sprechtexte sind lyrische Sozialkritik mit Pop-Appeal und stellen letztlich klar, dass die virtuelle Existenz kein Ersatz für eine würdevolle reale ist. Dabei entstehen ein paar zeitlose Sterne-Knaller wie »Du darfst nicht vergessen zu essen« und »Es möchte echt sein«.
Vor allem aber der »Tellerwäscher« geht durch die Decke, was auch am Musikfernsehen liegt. VIVA tritt gegen MTV an und spielt im Nachtprogramm neuen deutschen Indie-Stoff – »Universal Tellerwäscher« rotiert hart. Auch bei den jungen Radiosendern, die es plötzlich hier und da gibt. Huch, ein Hit. Powerline übernimmt das Booking, man spielt nun in mittelgroßen Clubs vor 300, 400 Leuten, ist aber immer noch am Tellerwaschen bzw. arm. Ernüchternde Erkenntnis: Band läuft, Platte auch, Leute kommen, Lebenstraum verwirklicht, trotzdem zahlt der ganze Zauber nicht mal die Miete. Dem einen oder anderen Stern stellt sich die Frage: Endlich mal das Studium beenden oder sich doch ganz in die Band werfen?
Da hilft natürlich, dass jetzt Sony Music Interesse bekundet. Ein Major-Label? Why not! Aber über den Tisch will man sich natürlich auch nicht ziehen lassen. »In echt« ist abgetourt, Leich gibt Schlagzeugunterricht, Will studiert Landschaftsplanung, Wenzel geht mit einer seiner anderen Bands auf Tour, Spilker schiebt Schichten hinterm Tresen des Golden Pudel Club – und die Anwälte handeln mit den Vertretern des Majors ziegelsteindicke Verträge aus. Das Business übernehmen jetzt andere. Die Band kann sich ganz auf die Musik konzentrieren. Das hat Folgen.