Ecke Schönhauser
Input (VÖ: 26.10.2012)
Ein ganzes Album über die Ex-Freundin: ein alter Hut, den man sich und anderen kaum noch aufsetzen mag, ist er doch so ausgelutscht, dass es tropft. Sich hier mit Innovation, Stil und Spannung in noch unbetretene Ecken dieses doch so immer wieder relevant werdenden Themenfeldes vorzutasten, das sich stetig wandelt und doch immer gleich bleibt, ist heute doch unmöglich geworden! Alles ist gesagt, jedes Gefühl beschrieben, die Paranoia als solche entlarvt. Es hat sich ausgeheult! Das trifft so oder so ähnlich sicher auf einen Großteil der Herzschmerz-Produktionen zu, deren Ausgangspunkt der Zusammenbruch einer Liebesbeziehung ist. Doch es gibt Ausnahmen, und zunächst: Unterschiede! Eine dieser Ecken nämlich, die noch nicht erkundet wurde und in deren schattiger Tiefe noch allerlei Entdeckungen warten, das ist die Ecke Schönhauser.
Ist das Konzeptalbum des Verlassenwerdens meist nur Mittel zum Zweck, seine Gefühle zu ordnen, ein Medium des Trauerns und nicht zuletzt der traurige Versuch, Ablenkung zu finden und seinen Frust zu kanalisieren, verhält es sich beim Debüt der Berliner Formation etwas anders: Die Ex, übrigens konkret die das Cover zierende Ex-Keyboarderin von (Ex-)HERPES, der Ex-Band vom (Nicht-Ex-)Schönhauser Florian Pühs, zieht sich durch das ganze Album, anonym angesprochen als ein wenn auch überhöhtes doch menschliches Wesen. Dabei geht es nicht nur um Schmerz, das große Vermissen und das noch größere Vermessen (keine Frage: darum geht es auch!), sondern gleichsam um Liebe in ihren funktionierenden Momenten – die es scheinbar gegeben hat – und die als Gefühl noch immer nachhallt; um wirtschaftliche Zwänge, um Kontrollverluste im Highlife der Großstadt Berlin und nicht zuletzt um Scheiße, die man gebaut hat! Und – ganz wichtig – um den betitelnden »Input«, den eine Beziehung auch bedeutet, besonders wenn wie in diesem Fall das private Zusammenleben auch ein kreatives war und größtenteils im Tourbus und auf den Bühnen der AZs und Rockschuppen stattfand. Mal stark, mal devot, mal wütend, mal bedauernd. Aber wie gesagt – es wirkt nicht so, als habe hier der Verlassene nur ein Ventil gesucht. Vielmehr ist »Input« ein Album geworden, das die Teilkatastrophe einer Künstlerbiographie zum Gegenstand nimmt, um sich (auch) an ihr aufzuspielen, um zu zeigen, was man aus Stoffen machen kann. Und aufgespielt wird hier ganz prächtig: an der Gitarre der Mitbewohner, Kadavar-Bassist (was man wirklich nur selten raushört) und Szene-Kneipier (was man häufiger hören kann) Mamut, im Rücken eine Hand voll souveräner Mitmusiker, erwartet den geneigten Zuschauer eine Platte, die zwischen dem aufmüpfigen Gestus der Hamburger Goldies und den frühen Blumfeld pendelt, dabei auch nach England blickend Momente von den ganz aktuellen Yuck an den Gitarren ausprobiert, und dabei im Zusammenspiel mit den jahrelang erprobten Wortspielereien Florian Pühs ein ganz eigenes Ding hervorbringt, das auch gerne oder vielmehr unumgänglich manches Mal in der Gosse liegt, im Dreck, unter einem Graffiti, das immer noch verkündet: NO FUTURE!
Eine Platte mit Tränen, trotzdem schön, witzig, positiv, kaputt, zerstört, neu: dialektisch. Soweit, so gut. Dann am Ende passiert etwas. Etwas begegnet den so energetischen und irgendwie trotz all der Tragik flüssig durchgehenden Stücken, wie man es konzeptuell (?) zuletzt so gelungen höchstens bei der »DMD KIU LIDT« von Ja, Panik beobachten durfte. So ließ der große Klopper seinem geilen Vorspiel auch hier viel Zeit: »Mixtape«, die finale der zehn Einzelepisoden, ist ... sagen wir: ultra-deep! Wäre »Input« eine Kassette über eine schmerzhaft zerbrochene Beziehung, »Mixtape« wäre das Medley der intensivsten, bewegendsten und packendsten Momente dieser Erfahrung. Verzweifelt schaukelt sich Pühs hoch, weiß um seine Situation, um die Vergangenheit und um das Problem: „Lieder die ich singe, handeln immer nur von dir. Ey Mädchen, ich brauch deinen Input!“ Mit einer so mitreißenden Musik, wie sie im Kontext dieses Themas lange nicht mehr zu hören war, lässt sich so ein ergreifendes Fazit ziehen: Denn egal was wird und egal was war – wenn jemand nicht mehr so da ist, wie er das mal war, dann tut das weh!
- (Hendrik Otremba, Messer)