Jack Beauregard

Irrational (VÖ: 07.06.2013)

Prolog:
Berlin im März 2013. Es ist immer noch Winter. Ich spreche mit mir:
"Schnee ist egal und sogar schön weiß, Kälte, frierende Nässe, alles überirdische Launen, um die du dich nicht scheren musst.“ Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs, in der Jackentasche ein Abspielgerät und über die Mütze gestülpt ein riesiger Kopfhörer. Ich höre einen Bass-Ton, warm und freundlich wie das Hallo des Blauwals, meine Körpertemperatur steigt um zwei Zehntel Grad Celsius und der Schnee auf der Schönhauser Allee strahlt noch erhabener. Ich höre verhallte Gitarren und Engels-Chöre von ganz weit weg, über die sich eine Stimme erhebt: "It`s going down, it`s going down, it`s going down."

Warum? Was geht den Bach runter? Wir? Die Welt? Wart Ihr in der Zukunft? Was habt ihr gesehen?

Die Stimme ist die von Daniel Schaub. Er und Pär Lammers bilden das Electronic-Songwriter-Superduo Jack Beauregard. Ihr neues Album heißt Irrational. Ich höre es jetzt draußen in der gedämpften Stadt und will es hören, wenn ich im Shuttle zum Mars sitzend unserem graublauen Planeten "bis nicht so bald" winke. Denn: diese Musik ist gemacht für heute und morgen. Sie lässt uns jetzt nach oben ins All schauen und morgen im Traum zurückdenken an etwas, das gut und aufregend war in den frühen Zehner-Jahren des zweiten Jahrtausends.

Jack Beauregard wird 2006 in Amsterdam geboren, wo Pär Lammers und Daniel Schaub studieren. Auf einer gemeinsamen Reise durch Skandinavien spinnen sie erste Songideen, um später in Daniels Amsterdamer Ein-Zimmer-Wohnung zu den Beatles auf indietronisch zu mutieren. Das erste Album "Everyone is having fun" erscheint 2009 auf Tapete Records. Mit ihrem darauf vertretenen, sehr eingängigen und dennoch schön roughen Stilmischmasch feiern Jack Beauregard erste Achtungserfolge. Der richtige Schub kommt 2011, nach dem Umzug der beiden nach Berlin, zur Veröffentlichung von "The Magazines you read". Das Album und die erste Single "You drew a line" lassen alle, die ihre Gefühle noch bei sich haben, aufhorchen. Man weint endlich wieder beim Tanzen (oder andersrum). Ihr lupenreiner Pop bringt Jack BeauregardTruckladungen Kritikerlob, von überall zufliegende Herzen und Konzerte im Vorprogramm von Hurts, Gotye, Mika und Boy. Nachdem sie Deutschland, Österreich und die Schweiz, Holland, Schweden, Dänemark, England und Frankreich bespielt und gebannt zurückgelassen haben, machen sich Pär Lammers und Daniel Schaub an die Arbeit des sogenannten schwierigen dritten Albums und nehmen sich dafür ein ganzes Jahr Zeit.

Entstanden ist Irrational in Berlin, in den eigenen vier Wänden der Jaqueline Bellevue Studios. Zum ersten Mal arbeiten Jack Beauregard mit Gastmusikern, nehmen Schlagzeug und Holzbläser auf, die wunderbare Valeska Steiner von Boy singt Chöre auf einigen der Lieder. Daniel Schaub und Pär Lammers feilen unermüdlich an der perfekten Synthese aus akustischen und programmierten Elementen. Von den Mühen, Nerven, Geduldsfäden, Beziehungen, Freundschaften und Biorhythmen, die diese Platte vielleicht gekostet hat, ist nichts zu hören, schwer erklärbar leicht schwebt die Musik dahin. Dass es aber eine große Leistung darstellt, eine an Farben und Ebenen derart reiche Musik zu schreiben, aufzunehmen und zu produzieren, will hier gesagt sein.

Jack Beauregard haben es nämlich mit Irrational geschafft, den Hörer komplett vergessen zu lassen, welche Instrumente spielen, welche Wörter was sagen wollen und in welchem Stil sich diese Musik verortet. Sie bewegen sich elegant zwischen Song und Track, zwischen der geraden Bassdrum und dem "Ich liebe dich, ich liebe dich nicht", einer melancholischen Unentschlossenheit, die aus jedem Melodiebogen auf dieser Platte spricht. Pär Lammers und Daniel Schaub haben sich mit ihrem dritten Album zu einer Unabhängigkeit und Universalität hochgeschraubt, die zum Beipiel einen Autor dazu bringt, seinen Worten zu misstrauen und ihn seine Arbeit vergessen zu lassen. Die Musik sagt: "Leg den Stift weg, fahr den Rechner runter, hör zu, träum weiter."

Ein Traum ist kein schlechtes Bild für das, was die zehn Songs auf Irrational zusammenhält. Die Musik und die Texte spielen mit Erinnerungen an Situationen, die nie passiert sind, aber echter scheinen als alles Gewesene. "This ship is on fire, but it´s leaving the harbour" singt Daniel wie einer, der an Bord war, aber nicht mehr weiß, wie er es unbeschadet an Land geschafft hat. In Not that kind, der ersten Single des Albums, wird beschrieben, wie es eben meistens ist: "It´s not that bad, it´s not that kind". Dieser Zustand zwischen Euphorie und Niedergeschlagenheit, man könnte sagen, der Normalzustand, der gut ist, weil er alle Farben in sich trägt, wurde selten so schön gefeiert wie in diesem Lied.

Durch das gesamte Album ziehen sich Reisen durch die Zeit, Ausflüge in die Stile der letzten, sagen wir, 50 Jahre: Der Weichzeichner von Simon and Garfunkel, die Rhythmik des Herbie Hancock der Rockit-Ära, die Kinderliedmelodien von Robert Palmer und Nik Kershaw, die Magie der großen Popalben von Rumours über Thrillerbis Alphabetical. All das scheint durch die Musik wie die Sonne durchs Pergament. Und dennoch ist nie ein Zaunpfahl in Sicht, Jack Beauregard haben ihre Helden viel zu sehr verinnerlicht, um eklektizistisch zu sein. Pär Lammers und Daniel Schaub haben auf Irrational einfach ihre Musik gemacht, die zeigt, wo sie überall schon waren. Und wir können dazu tanzen oder weinen. Oder Beides.

Nachtrag:
Und langsam fange ich an, an Zeitreisen zu glauben, ich entdecke beim Rumirren im Netz ein Foto, das in einem kanadischen Museum hängt. Es zeigt eine Menschenmenge um 1940. Mittendrin: ein hochgewachsener Hipster mit Sonnenbrille, bedrucktem Shirt und Wollschal: Daniel Schaub! Einige Tage später sehe ich mir zum etwa hundertfünfzigsten Mal "Circus" von Charlie Chaplin an. In diesem Film von 1928 sieht man in einer Straßenszene ganz kurz eine Gestalt im langen Mantel mit dem Handy telefonierend durchs Bild laufen. Schlechte Verkleidung, Pär Lammers! Ich hab euch, Jungs!