Heile Heile Boches / Leopard II / Fundstücke (3-LP Boxset)

1988 in Hamburg gegründet (und 1991 wieder aufgelöst), war die Kolossale Jugend neben OZSWMK und Cpt. Kirk eine der ersten maßgeblichen Bands, die der so genannten „Hamburger Schule“ zugeordnet wurden. 1989 erschien beim Label L’age d’or die erste LP „Heile Heile Boches“ und 1990 folgte das zweite Album „Leopard II“. Die dritte LP des Boxsets enthält Raritäten (Sampler-Beiträge, Single-Versionen) und Aufnahmen eines bislang unveröffentlichten Live-Konzerts aus dem Forum Enger (22.9.1989).

Gründungsmitglieder:

Kristof Schreuf (Gesang und Texte, † 9.11.2022)
Christoph Leich (Schlagzeug)
Klaus Meinhardt (Bass und Grafik)
Pascal Fuhlbrügge (Gitarre)

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„Heile Heile Boches“ erschien 1989, im Jahr des Mauerfalls. International gab es zwar Hip Hop, Crossover, Hardcore und Alternative-Punk; in Deutschland lediglich deren Simulation oder Imitation, und außer einem inzwischen längst redundanten, wenn auch unverwüstlichen Deutsch-Punk nur wenig, das in der Musik als Bollwerk gegen den neu aufkeimenden Nationalstolz hätte dienen können.

Aber es gab die Kolossale Jugend. Seit jeher am reingrätschen, nerven, ständig sich austauschend, vorantreibend und völlig immun gegen Versuche der Politik, Wirtschaft und Volksgemeinschaft sie für die heraufbeschworene Pop Nation Deutschland zu vereinnahmen. Schicksalsjahre einer Kaiserin: die Wendezeit. Das zweite Album, 1990, wurde folgerichtig „Leopard II“ betitelt.

Mithin sind Musik und Text auch denkbar schlecht für eine groß angelegte Verwertung geeignet; sie passieren in einem irrwitzigen Tempo. Die Texte sind maßlos, schwer zu fassen und immer einen Schritt voraus. Scheinbar ohne Anfang und Ende prasseln und hämmern sie so gewaltig drauflos, wie die Band auf ihre Instrumente drischt. Wir hören, wie jemand denkt und seine Kollegen verschaffen ihm den musikalischen Nach- und Ausdruck, den das Denken in so intellektfeindlichen Zeiten damals wie heute verdient. Aber das hat mehr mit Rockmusik zu tun, als das eingangs erwähnte, auch wenn man damit glaubte, nah am Original zu sein, denn die Reduktion und die Leerstellen sind kolossal.

Und doch stand die Kolossale Jugend – die Band, die vom Himmel fiel, weil sie aus keiner klar definierbaren Tradition kam - am Anfang von etwas Neuem. Als sie sich 1991 auflöste, konnten sich weitere Akteure in und außerhalb Hamburgs an neuen Referenzrahmen mit Überschriften wie „Halt’s Maul Deutschland“* oder „What’s so funny about L’Age Poly d’Or“ ** orientieren.

Pascal Fuhlbrügge gründete und verließ L’Age d’Or, machte danach Musik mit Erneuerbare Energien, Sand 11 oder 8, sowie für Theaterproduktionen. Heute entwickelt er neben der Musik eigene Theaterstücke und spielt sie auch. Christoph Leich war dann lange Schlagzeuger bei Die Sterne und ist heute in der Musikbranche im Bereich Logistik tätig. Klaus Meinhardt zeichnete das L’Age d’Or Logo, gestaltete die Jugend-Cover, war Gitarrist beim Heinz Krämer-Werner Hornig Sextett und arbeitet als Illustrator.

Kristof Schreuf starb völlig überraschend am 9. November 2022, er war Bourgeois with Guitar, Autor, Sänger und Texter der Band Brüllen. Seine Texte u.a. für taz, Jungle World und die Süddeutsche Zeitung waren Ereignisse. Die vorliegende Wieder- und teilweise Neuveröffentlichung ist ihm gewidmet.

(Myriam Brüger 9/2023)

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*T-Shirt Slogan der Kolossalen Jugend nachdem die Bild zum Tag der Mauereröffnung titelte: „Guten Morgen, Deutschland“

**Zeile aus „Selber Schuld“ von Cpt. Kirk