OVE
Abruzzo (VÖ 22.02.2019)
Die Abruzzen sind ein magischer Ort. Da treffen sich Küste, Anhöhen und Berge in einem einzigen Landstrich in Italien bei Vino unterm Sonnenschirm und alles ist irgendwie so schön. Ganz ohne Frage: Das ist ein Platz, wie gemacht, um ein drittes Album aufzunehmen. Ein Erlebnis, eine gute Zeit, ein richtiges Gefühl. Der Plan steht. Die Vorfreude steigt. Doch aus dem Projekt wird nichts.
Das Leben kommt dazwischen. Die Abruzzen sind abgesagt.
Aber keine Spur von schlechter Laune. Warum auch? Die neue Platte ist zwar wieder im deutlich kühleren Nordfriesland entstanden, sie heißt aber trotzdem „Abruzzo“. Oder gerade deswegen. Denn genau so klingt sie: Warm, mittelmeerig, aperol-spritzig. Und die gute Idee ist und bleibt schließlich der Antrieb und wie der Spaß am Schiefgehen eine ständige Variable in der großen Wahrhaftigkeit dieser Band, mit der wir schon glücklich mit einem Becher Wein am Elbkanal gesessen haben, gemeinsam am Spielautomaten standen und die Blicke nachdenklich auf die Köhlbrandbrücke haben wandern lassen. Machen wir also den Reinfall zur Tugend und das Weitermachen zum Erfolg!
„Abruzzo“ erzählt davon in zehn Geschichten, denen man dank Ove Thomsens gewohnt lyrischer Finesse zwischen Taumeln, Liebe, Fernweh und Zweckoptimismus andächtig lauscht, mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Weil sie ernst und tragikomisch und herzerfüllend zugleich sind. Weil sie die allzu menschliche Fehlbarkeit mit einer in den Himmel gereckten Faust kontern.
Wie gleich zum Anfang die Erzählung von Annegret und Anders Andersen, die ihre erfolglose Existenz als Aalverkäufer auf Amrum für einen vermeintlich vielversprechenden Neustart in Amerika eintauschen möchten: „Lieber Hand in Hand ‘ne dicke Lippe riskieren als blank auf der Bank die Gräten zu sortieren“. „Captain Fantastic 2.02“ wiederum will die Familie vor den Verführungen der modernen Welt beschützen, doch die erwachsenen Kinder machen ihr eigenes Ding und schauen schließlich nur noch einmal im Jahr vorbei. Auf der Suche nach einem neuen Selbstentwurf passiert in „Zum Download bereit“ ein Unfall. Dabei ist Siri treuer Begleiter und wird schließlich zum sehnsuchtsvollen Ziel der absoluten Hingabe. Das klingt nach anrührendem Fluch, bizarrem Segen und seltsamer Hoffnungsfreude zugleich. Und selbst das mitreißend sprudelnde „Fahrrad in der Nacht“, das von der unbezahlbaren Energie der Zweisamkeit erzählt, wie sie entsteht, wenn die Unlust, auf den Nachtbus zu warten, vom spontanen Tatendrang überflügelt wird, endet mit einer gerissenen Kette – na und? Dann zieht eben der eine den anderen mit.
Passend dazu katapultiert der Sound von „Abruzzo“ die Band in neue Sphären der Vielseitigkeit und zieht diesen wunderbaren Stories ein federleichtes Kleid an. Sixties-Referenzen mit Falsettchören im Background und glasklaren Folk-Harmonien treffen auf edle Bassläufe mit famosem Funk, Afrobeat-Gitarrenlicks auf zurückgelehnten Yacht-Pop. Das ergibt einen pulsierenden, lässigen, neuen Style, und der steht dieser Band vorzüglich.
Man spürt: OVE haben tüchtig Spielbock. Die neuen Songs wollen ausgebreitet, all die neuen Geschichten möchten erzählt werden. Sie haben es verdient.
Denn: so pointiert, so uplifting, so true waren OVE noch nie, und „Abruzzo“ ist ihr bestes Album. Es sollte in Autos laufen oder in Eisdielen; es darf aus Ghettoblastern erschallen, die beim Rollschuhfahren auf Schultern getragen werden. Der gute Plan mag voll Übermut sein und am Ende doch alles anders kommen. Aber manchmal wird es dann trotzdem gut. Und niemand, das weiß ich, könnte uns davon besser überzeugen als die Band, die nach dem Scheitern einer wunderbaren Idee eine der schönsten Ecken Italiens mit einem Lächeln im Gesicht und einem Bier in der Hand gegen das Schietwetter Nordfrieslands eingetauscht hat. Hier kommt „Abruzzo“!
Kristof Beuthner