ROTZKOTZ
LEBENSFROH + FARBENFROH - 23. August 2024
Zusammen mit Bands wie Hans-A-Plast und Der Moderne Man gehören Rotzkotz Anfang der 80er zum Umfeld von No Fun Records, einem hannoverschen Label aus der linksalternativen Szene. Zunächst spielen sie klassischen Punk-Sound, den sie auf ihrem zweiten Album um elektronische Sounds und teils dadaistisch anmutende Texte ergänzen: Mit Lebensfroh + Farbenfroh veröffentlichen sie so 1981 eines der spannendsten Alben der alternativen deutschsprachigen Musik der 80er Jahre. Gute 40 Jahre später wird das Album jetzt inklusive der zwei Songs der „Kein Problem“-Single (ein kurzer Ausflug zum Major EMI) wiederveröffentlicht – neu gemastert und ergänzt um ausführliche Linernotes sowie bisher unveröffentlichtes Bildmaterial.
Rotzkotz – was ein Bandname. Mehr Punk geht kaum. Und dann noch einen EMI-Majorvertrag in den Wind geschlagen, wer macht sowas?
Aber von Anfang an: Die BRD der späten 70er, frühen 80er Jahre. Mitten im Übergang in die Kohl-Ära ist eine Handvoll junger Leute auf der Suche nach einer neuen deutschsprachigen Musik. Seit dem Ende der 70er schwappen alte Klänge in neuem Gewand aus England und den USA herüber. Nach einer langen Phase der Experimente geht es zurück zu kurzen Songs, angetrieben von Wut und Resignation, die sich mit wenigen, schnellen Akkorden Bahn brechen.
In dieser Gemengelage nehmen Rotzkotz – nach einer ersten LP im klassischen Punk-Sound – 1981 Lebensfroh + Farbenfroh auf. Statt auf Englisch singen sie inzwischen auf Deutsch, zu den Instrumenten gehören jetzt auch Synthesizer und bei den Texten lässt man sich vom Dadaisten Kurt Schwitters inspirieren. Ist das noch Punk? Der Gruppe selbst könnte das nicht egaler sein: Gerade die Band, die mit „much funny“ im Sommer 1979 eine der ersten deutschen Punk-Platten aufgenommen hat, versteht sich selbst nicht als Punkband und enttarnt den Begriff schnell als Marketingwerkzeug, mit dem bitte nicht an einem herumgeschraubt werden soll.
Doch die neuen Töne sind umkämpft. Wer offen und experimentierfreudig und trotzdem von Tempo und Drang der neuen Bands aus den USA und Großbritannien fasziniert ist, dem stehen Heerscharen von Punk-Puristen gegenüber, denen schon 1980 die Hamburger Buttocks das Schlagwort für den szeneninternen Kulturkampf geliefert haben: Der erklärte Feind spielt „Elektroscheiss“. Statt Chancen für neue Formen der Musik abseits von drei Akkorden zu erkennen, wittert man Verrat an der neuen Form des altbekannten Rock’n’Roll. Bloß keine Experimente, Avantgarde als Schimpfwort.
Rotzkotz verbinden währenddessen die neuen elektronischen Sounds mit passgenauen Texten, aus denen unter anderem ihr Unbehagen mit den Frühformen der elektronischen Kontrolle und Digitalisierung überdeutlich spricht. Im Rückblick zeigt die Band nicht nur hier ein feines Gespür für die Vorzeichen einer Entwicklung, die sich als eine Zeitenwende herausstellen sollte.
Zwischen Punk und Avantgarde, zwischen elektronischen Sounds und digitaler Dystopie, zwischen Majorlabel-Deal und No Fun Records, zwischen 70ern und 80ern – Rotzkotz sitzen zwischen allen denkbaren Stühlen und schaffen es dabei, mit Farbenfroh + Lebensfroh ihre Nische auf eine auch heute noch außergewöhnliche Art zu besetzen.