Saal 2
Was macht die Musik? (VÖ: 27.03.2015)
Was war zuerst da, Huhn oder Ei? Was war zuerst da, Saal 2 oder Saal 2? Das Musikprojekt um Jens Kraft oder die gemütliche Künstlerkaschemme am Schulterblatt in Hamburg, in der der Pernod auch schon weit vor Einbruch der Dämmerung gut schmeckt?
Die Antwort lautet: Saal 2. Die Band.
1980 wurde Saal 2 von Kraft und seinem Mitstreiter Godeke Ilse in Hamburg gegründet. Als Kinder ihrer Zeit nahmen Kraft und Ilse in ihren Jugendzimmern minimale, experimentelle Underground-Hits wie „Angst vorm Tanzen“ (für Westbam das elftbeste Musikstück aller Zeiten!) oder „Ich liebe Donald Duck“ auf und veröffentlichten ihre ersten Singles auf ZickZack. Werfen wir einen Blick zurück: Die frühen 80er Jahre waren musikalisch gesehen eine herrliche Zeit. Motto: "Anything goes!", Post Punk etc. pp. Free Jazz mit Melodien? Northern Soul auf Synthesizern? Klingt doch prima! Camus und Rockabilly? Her damit! Und so entwickelte sich der schräg-schroffe Synthie-Sound von Saal 2 nach und nach zu zackigen Pop-Knallern, nachzuhören auf der zweiten Single „Die U-Bahn rollt“, die die Band ins Vorprogramm der 82er The Fall-Tour brachte und die Rocko Schamoni nach eigener Aussage zur Gründung seiner ersten Band inspirierte. Oder zu wunderschönen Liebesliedern wie "Strandgefühle" und "Ich liebe Dich", nachzuhören auf den ZickZack-Samplern "Wunder gibt es immer wieder" und "Lieber zuviel als zuwenig". Da hießen Saal 2 allerdings plötzlich Saal 3 bzw. Saal 4.
Wieso eigentlich Saal 2? Kraft: „Ursprünglich hießen wir Die Seepferdchen. Aber als Alfred Hilsberg etwas über unsere Aufnahmen in SOUNDS veröffentlichen wollte, war uns der Name dann doch nicht mehr gut genug. Wir brauchten also einen Namen. Und zwar schnell, denn Alfred war wie immer spät dran. Ich rief Godeke an, wir machten ein Brainstorming und Godeke sagte irgendwann „Saal 2“. Ich fragte ihn, wie er denn auf diesen blöden Namen gekommen sei und er antwortete: "Ich sitze hier am Schreibtisch meines Vaters und vor mir liegen zwei Dave-Brubeck- Tickets. Dave Brubeck im CCH-Saal 2! Super, fanden wir beide. Ich rief Alfred an und gab ihm unseren neuen Namen durch.“
Der Name war gefunden. Und er sollte in Serie gehen. Aus Saal 2 wurde Saal 3, Saal 4, Saal 5 und Saal 6. Ein sich monatlich ändernder Name, wenig Auftritte, die frühen Singles seit Jahren vergriffen: Saal 2 taten seinerzeit alles, um über die Jahrzehnte zum Phantom zu werden und einer Sonnenfinsternis gleich nur alle Jubeljahre mal aufzutauchen.
1994, ganze zehn Jahre später, erschien das von der Kritik gefeierte Debütalbum „Auf der Suche nach dem Glück“. Jetzt wieder als Saal 2, weil die Band inzwischen reumütig eingesehen hatte, dass die Idee mit den Namensänderungen wohl doch nicht so gut war.
Und nun, 21 Jahre nach „Auf der Suche nach dem Glück“, ist es endlich wieder soweit. Meine Damen und Herren, Tapete Records präsentiert: „Was macht die Musik?“ Wie nicht anders zu erwarten: extrem viel Freude!
Der Kinderzimmer-Sound der frühen Jahre hat Platz gemacht für: West-Coast-Harmonien (hören Sie den Opener „Allererste Wahl“ und der Jenisch Park wird zum Laurel Canyon), Blue Beat („Guter Stoff“), den A&M Sound der mittleren 60er wie etwa „We Five“ oder Sergio Mendes („Wald“), und mit „Wo er wohnt“ gelang ein wahrhaft "beängstigend beängstigender Schieber Donald Fagenscher Dringlichkeit", attestiert Gereon Klug.
Wohl viel Steely Dan gehört in letzter Zeit? Kraft:“ Ja, aber auch Grateful Dead, Association, Four Freshman, Scott Walker, Hugh Masekela, XTC, Buzzcocks und Television Personalities“.
Heute besteht Saal 2 im wesentlichen aus Jens Kraft. Auf „Was macht die Musik?“ steuerte Gründungs-Kumpane Godeke den Titel "Reise in ein fernes Land" bei, Folke Jensen war als Co-Produzent, Gitarrist und Bassist im Einsatz. Entstanden sind die Stücke bei Kraft zu Hause. „Wenn die Songs gut waren, habe ich sie gleich aufgenommen. Ohne Zeitdruck, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ideale Produktionsbedingungen, und ich denke, das hört man auch.“ Und ob! Textlich ist „Was macht die Musik?“ vermutlich eh das Beste, was dieses Jahr in diesem Land rauskommen wird. „Was macht die Musik?“ ist unangestrengt, überraschend, tanzbar, melodiös, tongue in cheek. Jens Kraft nimmt mir die Worte aus dem Mund: „Sonnig, geistreich, voll autark/eloquent, wie ich es mag/wahrheitsliebend, grundsozial (...), musikalisch kompetent/niemals einen Trend verpennt/glaub mir, das ist guter Stoff“.
Wahrhaftig: Guter Stoff! Sehr guter sogar. Macht süchtig. Wir wollen mehr davon! Schnell!